Transformationsprozess
Was, wieso und warum?
Justitia Mentoring ist das Mentoringprogramm der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Ursprünglich wurde Justitia Mentoring als reines Mentoringprogramm für Frauen gegründet, das sich der Verbesserung der Ausgangschancen für ein gleichberechtigtes Berufsleben verschrieben hat.
Im Rahmen eines Transformationsprozesses, seit 2023 intensiver, stellt sich uns die Frage nach der Überprüfung und Erweiterung unserer Zielgruppe. Wir möchten einen fördernden Raum an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Freiburg bieten, der sich an Frauen, intergeschlechtliche, nicht-binäre, transgender und agender Menschen wendet. Das Programm setzt sich somit intensiv mit der Ungleichheitskategorie Geschlecht auseinander und erkennt, dass Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts nicht nur Frauen treffen, sondern auch andere marginalisierte Gruppen wie intergeschlechtliche, nicht-binäre, transgender und agender Menschen.
Folgende Darstellung soll unsere Beweggründe und unseren Prozess hin zu einem offeneren Konzept von Justitia Mentoring veranschaulichen.
Bezüglich des Konzepts der “Frauenförderung” stellen wir uns fortlaufend die Frage “Was bedeutet Frauenförderung?” Die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter ist nach wie vor nicht erreicht. Frauen sind immer noch erheblichen strukturellen Nachteilen, auch im Berufsleben, ausgesetzt. Die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung mit Bezug auf das Geschlecht kann sich nach unserem Verständnis nicht in der reinen Frauenförderung erschöpfen, sondern bezieht sich nach unserem Verständnis nicht nur auf die Kategorie “Frau”, sondern hat einen weiten Ansatz, der die geschlechtliche Vielfalt in den Mittelpunkt stellt. Weitere Personen, die von geschlechtsbezogener Diskriminierung betroffen sind, bedürfen ebenfalls in besonderem Maße der Förderung. Unser Mentoringprogramm soll diesen Fokus widerspiegeln.
Geschichte
Gegründet wurde Justitia Mentoring im Jahr 2003 als Frauenförderprogramm. Der Programmidee lag damals ein binäres Geschlechterverständnis (Mann-Frau) zugrunde. Dieses war auch lange Zeit die unhinterfragte Grundlage des Programms.
2020 fiel die Entscheidung, das Programm allen Personen zugänglich zu machen, die aufgrund ihres Geschlechts einer strukturellen Benachteiligung in der juristischen Ausbildung ausgesetzt sind, also intergeschlechtlichen, nicht-binären, transgender und agender Menschen. Schnell merkten wir allerdings, dass wir uns neben kosmetischen Änderungen (wir setzten hinter „Frauen“ immer ein Sternchen, sprachen also von Frauen* oder Mentorinnen*) intensiv mit der Bedeutung unseres Öffnungsprozesses und etwaigen weiteren Änderungen beschäftigen mussten, da sich der Inhalt unseres Programms nicht wesentlich verändert hatte. Wir nahmen wahr, dass wir immer noch in alten Strukturen verhaftet waren und nicht mit einem Genderstern auf einmal einen inklusiven und sicheren Raum bieten konnten.
Um dies zu verwirklichen, stießen wir 2023 einen konkreteren Transformationsprozess an. Schnell registrierten wir: Wir brauchen für unseren Transformationsprozess weitere Ressourcen. Wir konnten Gelder der Verfassten Studierendenschaft für die Finanzierung einer geprüften Hilfskraft und für ein teaminternes Training mit einer ausgebildeten Fachperson im Bereich geschlechtlicher Vielfalt gewinnen. Bei den mehrmaligen Treffen mit der Trainingsperson setzten wir uns intensiv mit geschlechtlicher Vielfalt auseinander, um uns erst einmal im Team selbst weiterzubilden. So konnten wir z.B. unsere eigenen Unsicherheiten in Bezug auf Begrifflichkeiten abbauen. Im Verlauf der Prozessbegleitung gelang es uns, unsere Zielgruppe genau zu definieren und uns auf eine neue Programmerklärung (Justitia Mentoring, Mentoringprogramm der Rechtswissenschaftlichen Fakultät für Frauen, intergeschlechtliche, nicht-binäre, transgender und agender Menschen) zu verständigen
Die Transformation beinhaltet die neue Programmerklärung, veränderte Begrifflichkeiten und damit verbunden eine neue Ansprache in Informationsmaterialien wie dem Flyer und dem Ersti-Heft. Daneben schaffen wir in unseren Anmeldematerialien zum Einfluss in das Matching beim Mentoring die Möglichkeit, das eigene Geschlecht anzugeben und möchten im Rahmen unserer Veranstaltungen auch die Perspektiven von intergeschlechtlichen, nicht-binären, transgender und agender Personen sichtbar machen, in dem wir sie als Referent*innen einladen.
Ausblick
Uns ist bewusst, dass der Transformationsprozess nach den ersten Veränderungen nicht beendet ist und wir machen uns weiter darüber Gedanken, wie wir diese Veränderungen konkret in unser Programm einfließen lassen können. Uns ist bewusst, dass strukturelle Benachteiligungen nicht nur aufgrund des Geschlechts bestehen und in einem intersektionalen Verständnis auch mit anderen Benachteiligungskategorien zusammen fallen können. Justitia Mentoring hat sich seit der Gründung auf das Merkmal “Geschlecht” bezogen und möchte dies auch beibehalten. Gleichwohl sind wir bestrebt, die Perspektiven von Personen, die auch von anderen, ggf. mehreren, Diskriminierungsmerkmalen betroffen sind, einzubringen und mitzudenken.
Wir freuen uns über jegliche Rückmeldungen, Anregungen, Wünsche oder den Austausch von Ideen. Bei Interesse oder weiteren Gedanken, zögert bitte nicht, euch zu melden.
Wörterbuch der geschlechtlichen Vielfalt
Geschlechtliche Vielfalt bezieht sich auf die Anerkennung und Wertschätzung der unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten, die über die traditionellen Kategorien von "männlich" und "weiblich" hinausgehen. Bei der Geschlechtsidentität geht es um die Frage, ob sich ein Mensch selbst mit dem ihm zugewiesenen Geschlecht identifiziert, ob es ihn passend und ausreichend beschreibt.
Nicht zu verwechseln ist die geschlechtliche Vielfalt mit der sexuellen Orientierung. Die sexuelle Orientierung bezieht sich auf das Geschlecht oder die Geschlechter der Personen, zu denen sich ein Mensch hingezogen fühlt.
Intergeschlechtliche, nicht-binäre, transgender und agender Menschen können genauso homo-, bi-, pan-, hetero- oder asexuell sein, wie Frauen oder Männer. Die Geschlechtsidentität sagt nichts über die sexuelle Orientierung aus.
Damit alle unsere Programmbeschreibung und damit einhergehend unsere Zielgruppe nachvollziehen können, werden diese im Folgenden kurz erklärt:
Intergeschlechtliche Menschen haben körperliche Merkmale, die nicht eindeutig den typischen Definitionen von männlich oder weiblich entsprechen. Dies kann genetische, hormonelle oder anatomische Varianten umfassen. Intergeschlechtliche Menschen können sich unabhängig von diesen biologischen Merkmalen als männlich, weiblich oder divers identifizieren.
Nicht-binär ist ein Überbegriff für alle Geschlechter, die weder (rein) männlich noch (rein) weiblich sind. Das bedeutet, dass sich nicht-binäre Menschen weder ausschließlich als männlich noch als weiblich identifizieren. Nicht-binäre Menschen können eine Vielzahl von Geschlechtern haben, also genderqueer sein, oder ein Geschlecht haben, dass weder Mann noch Frau ist.
Transgender bezieht sich auf Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem bei ihrer Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.
Agender beschreibt Menschen, die kein Geschlecht haben, sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen oder mit dem Konzept von Geschlecht nichts anfangen können.
(Quelle: Glossar geschlechtliche Vielfalt der Freien Universität Berlin: https://www.fu-berlin.de/sites/diversity/_media/FU-Glossar-geschlechtliche-Vielfalt-Stand-220623.pdf (abgerufen zuletzt 07.02.2024))