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Sechstes Treffen des Arbeitskreises zum deutschen und chinesischen Recht (18.10.2007)

Herr Qi, Vizepräsident des Oberen Volksgericht Shanghai, hielt einen Vortrag über die seit 1984 ín China bestehende Gerichtskammer für Prozesse mit Minderjährigen.

Vortrag: "Rechtlicher und Institutioneller Schutz von Minderjährigen im gerichtlichen Verfahren in China"

- Berrit Roth -

Am 18. und 19. Oktober 2007 empfing die Stadt Freiburg eine Richterdelegation aus Shanghai, welche als Chor organisiert im Freiburger Konzerthaus auftrat und traditionell chinesische, aber auch westliche Musikstücke sang. Neben diesem musikalischen Austausch konnte der Lehrstuhl für Ostasienrecht der Universität Freiburg Herrn Qi, der Leiter der Richterdelegation und Vizepräsident des Oberen Volksgericht Shanghai, für einen Vortrag über „die seit 1984 bestehende Gerichtskammer für Prozesse mit Minderjährigen“ gewinnen.

 

Shanghai führte als erste Stadt Chinas diese Jugendprozesskammer ein, wobei diese ursprünglich zur Bearbeitung von Jugendstrafsachen eingerichtet wurde. Zwar werden heutzutage vermehrt Jugendzivilsachen und Familienangelegenheiten vor diesen Kammern bearbeitet, stellt aber nicht Tätigkeitsschwerpunkt der Jugendprozesskammern dar.

 

Gemäß dem chinesischen Jugendstrafrecht orientiert sich die Straffähigkeit für einzelne Verbrechen am jeweiligen Alter des Täters. Hat dieser das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet, kann er grundsätzlich nicht bestraft werden. Auch im Alter von 14. bis 16 Jahren haftet der Straftäter erst für sogenannte schwerste Verbrechen wie Tötung, Raub, Drogenhandel und Vergewaltigung. Zudem können Jugendliche in diesem Alter weder zur lebenslangen Gefängnisstrafe noch zur Todesstrafe verurteilt werden. Mit Vollendung des 16. Lebensjahres gilt man in China zwar per forma als voll straffähig, aber solange man unter 18. Jahre ist, soll die lebenslange Gefängnisstrafe nur in schwersten Fällen anwendbar sein und die Todesstrafe gar nicht.

 

Im Jahre 1984 schloss sich zum ersten Mal in Chinas Geschichte eine Gruppe von Richtern zusammen, um sich überwiegend mit Jugendstraftaten zu befassen. 15 Jahre später, im Jahre 1999, richteten vier Gerichte Shanghais dann extra Jugendstrafkammern ein und 2006 bekamen auch die Oberlandesgerichte extra Jugendstrafkammern.

 

Dass solche Jugendstrafkammern, die neben einer gerechten und angemessenen Bestrafung vor allem die Interessen der Jugendlichen verfolgen, vonnöten waren, zeigen folgende Zahlen. Im Jahr 2006 verurteilten die Gerichte der Stadt Shanghai 2449 Jugendliche zu Haftstrafen, ca. 60 % mussten Haftstrafen von weniger als 6 Monaten verbüßen, der Rest Haftstrafen von einem Jahr bis zu zwei Jahren. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutete diese Zahl eine Zunahme von ca. 17,5 %. Herr Qi wies darauf hin, dass erstens dies für Shanghai eine große Anzahl an jugendlichen Kriminellen sei, zweitens, dass die meisten dieser verurteilten Jugendlichen ursprünglich nicht aus Shanghai stammen und dass mehr als Dreiviertel aller Straftaten von Jugendlichen gemeinsam begangen worden waren.

 

Bei jugendlichen Straftätern gilt spätestens seit 1984 das „Prinzip der Erziehung und Korrektur“. Um dieses Prinzip zu verwirklichen finden Verhandlungen, an denen Jugendliche beteiligt sind, unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Zudem müssen gesetzliche Angehörige des Jugendlichen und dessen Anwalt bei der Verhandlung anwesend sein. Oft werden auch die Lehrer des Jugendlichen vor Gericht geladen. Stehen ein Erwachsener und ein Jugendlicher wegen gemeinsamer Tatbegehung zusammen vor Gericht, versucht das Gericht den Jugendlichen getrennt zu behandeln. Selbst der Gerichtssaal erfährt bei diesen Verhandlungen eine besondere Bestuhlung: Tische und Stühle werden in Form eines Rundtisches aufgestellt, um eine freundliche Atmosphäre zu schaffen und den Jugendlichen die Angst zu nehmen. Dabei hilft auch, dass die Richter vor Verfahrensbeginn sich Zeit nehmen, den Jugendlichen zu treffen und ihm das Verfahren und die entsprechenden Vorschriften erklären. Während des Verfahrens sollen die Richter neben dem begangenen Verbrechen und den Fehlern des Jugendlichen auch seine Tugenden berücksichtigen.

 

Um die Jugendlichen vor dem Rückfälligwerden zu schützen, soll so oft es geht von Strafe abgesehen werden und die Jugendlichen werden ihrer Gemeinde zur Aufsicht unterstellt. Dabei bleibt das Gericht mit dem Jugendlichen in Kontakt, um den weiteren Lebensweg und seine Resozialisierung in die Gesellschaft zu überschauen. Bleibt eine Strafe unausweichlich, kann wie in Deutschland auch in China ein Jugendlicher zunächst zur Ableistung von Sozialarbeit bestimmt werden. Die Jugendlichen werden dazu in ein sog. „Ordnungshaus“, eine Schule mit militärischer Ausbildung, geschickt. Tatsächlich werden nur ca. 20 % dieser Jugendlichen rückfällig.

 

Nach seinem Vortrag nahm sich Herr Qi Zeit zahlreiche Fragen zu beantworten, unter anderem erläuterte er die chinesische Richterausbildung. Angehende chinesische Richter müssen zunächst ein Jurastudium und eine anschließende ca. sechsjährige Ausbildungszeit an einem Gericht durchlaufen. Darauf folgt ein Spezialkurs an einem sogenannten Richterausbildungszentrum, der die Kandidaten mit neuen Gesetzen, Verhandlungstechniken und weiteren Wahlfächern vertraut machen soll. Auch Veranstaltungen und Vorträge zu ausländischem Recht, vor allem dem amerikanischen und japanischen, aber auch dem deutschen, können besucht werden. Dieser Spezialkurs, der normalerweise drei bis fünf Monate dauert, kann innerhalb eines Monats als Intensivkurs durchlaufen werden. Bevor man schlussendlich zum Richter ernannt wird, folgt ein weiteres Jahr Ausbildung an einem Gericht.

 

Gefragt wurde auch, wie die Gerichte Shanghais zur Todesstrafe stünden. Herr Qi erläuterte, dass die Todesstrafe aufgrund von historischen und traditionellen Gründen derzeit nicht in China abgeschafft werden könne. Dennoch sei bei der Anwendung derselben höchste Vorsicht geboten, gilt im chinesischen Strafrecht doch auch der Grundsatz „in dubio pro reo“.  Im Zuge dessen habe das Oberste Volksgericht das Überprüfungs- und Genehmigungsrecht für das Verhängen der Todesstrafe zurückgenommen, was zur Folge hatte, dass 2007 ca. 70 % weniger Todesstrafen als in den bisherigen Jahren ausgesprochen wurden. Diese Entwicklung sei, so Herr Qi, nicht allein auf den Druck aus dem Ausland zurückzuführen. Denn auch die chinesische Gesellschaft verändere zunehmend ihren Standpunkt zur Todesstrafe.

 

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Der Dekan der juristischen Fakultät der Albert- Ludwigs- Universität, Freiburg, Herr Perron, begrüßte Herrn Qi. Dabei wurden auch Gastgeschenke ausgetauscht. (r.) 

Ein Richterhammer aus Jade. Hintendran zeigt die Tüte ein Bild des Shanhaier Gerichtsgebäude. (l.)

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Herr Qi reiste nach Freiburg nicht nur als Referent, sondern auch als Leiter eines chinesischen Richterchores, der an den Abenden des 18. und des 19. Oktobers 2007 in der alten Markthalle und im Konzerthaus auftrat.

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